Ein Blick in die Zukunft der Lauftechnologie
Der führende Biomechanik-Experte Dr. Benno Nigg spricht über die Rolle von Robotern, das Potenzial von Smart-Socken und wann Technologie zu weit geht.
3. März 2020
Der Schweizer Wissenschaftler promovierte 1975 an der ETH Zürich und wurde anschliessend Direktor des Biomechanik-Labors dieser Hochschule. Im Jahr 1981 erhielt Benno das Angebot, an der kanadischen University of Calgary das Human Performance Laboratory zu gründen. Er nahm an und forscht seither dort über menschliche Bewegung, Mobilität und langes Leben – mit preisgekröntem Erfolg.
Zu seinem Fachgebiet gehören auch Laufschuhe. Das ist einer der vielen Gründe, warum wir bei On stolz darauf sind, dass wir Benno einen Freund unseres Unternehmens nennen können. On-Mitbegründer, Olivier Bernhard, und Human Movement Specialist, Dina Tageldin, haben sich mit Benno ausgetauscht und ihn nach Möglichkeiten und potenziellen Fallstricken neuer Technologien für Läufer befragt.
Grenzen überwinden oder Regeln brechen?
Ein unausweichliches Thema in der Welt des Performance-Running ist die Frage, inwiefern die Vorteile, welche durch Laufschuh-Technologie generiert werden können, in Wettkämpfen zu einem unfairen Wettbewerb führen. Kürzlich wurden deshalb die Regelungen zu Wettkampfschuhen für Elitesportler angepasst. Benno findet, der Fokus muss weiterhin auf der Funktion liegen:
«Ich denke, die Regeln bezüglich der Höhe und Materialstruktur im Fersenbereich waren notwendig. Immerhin waren wir an einem Punkt, an dem es wirklich hätte, verrückt werden können. Wir haben Fersentechnologien gesehen, die einer Feder nicht unähnlich waren.»
Für die eingesetzte Technologie sollte es immer einen funktionalen Grund geben. Wenn es wie heute so ist, dass dies nicht mehr unbedingt der Fall ist, entsteht ein Risiko für die Läufer.
Man mag von Technologie halten, was man will. Fakt ist jedoch, dass sie uns Menschen geholfen hat, Grenzen zu überwinden, die zuvor als unüberwindbar galten. Denken wir an Roger Bannister, der es geschafft hat eine Meile unter vier Minuten zu laufen oder an eine Marathon-Zeit unter 2 Stunden (wenngleich unter künstlich optimierten Bedingungen).
Welches ist die Grenze, die als nächstes überschritten wird? «Alle Rekorde, über die gesprochen wird, gelten für Männer – aber was ist mit den Frauen? Je länger der Wettkampf, desto kleiner wird die Leistungslücke zwischen Sportlern und Sportlerinnen. Ich glaube, die nächsten Meilensteine werden im Frauensport erreicht» sagt Benno.
Künstliche Intelligenz und Smart-Socken
Wenn wir schon bei Weiterentwicklungen sind: Was werden die nächsten grossen Errungenschaften in der Laufschuh-Produktion sein? Benno erklärt: «Die künstliche Intelligenz, um den Input für verschiedene Informationsgruppen ins System einzugeben, ist vorhanden. Aber wir wissen noch nicht, welchen Input wir verwenden sollen.»
Für die nähere Zukunft sieht Benno jedoch eher die Massenproduktion komfortablerer Schuhe als die Fertigung personalisierter Schuhe voraus. Während On-Schuhe derzeit etwa noch grösstenteils von Hand gefertigt werden, könnte das Einsetzen von Robotern den Produktionsprozess massiv beeinflussen.
Auch Socken mit Sensoren halten Potenzial bereit, welches Benno und sein Team sehr spannend finden.
Stellen wir uns vor, wir könnten eine Socke mit Sensoren ausstatten, die Druckpunkte erfasst.
«Wir haben intensiv daran gearbeitet, die Methoden zur Quantifizierung von Muskelaktivität weiterzuentwickeln und sind auf eine neue Herangehensweise gestossen. Diese würde die Muskelaktivität messen und dem Läufer beispielsweise über Kopfhörer Updates geben. Wenn zu viel Aktivität besteht, würde er dem Läufer sagen, dass die Muskelaktivität zu stark ist und er langsamer laufen soll, um das Verletzungsrisiko zu minimieren.»
«Die gleiche Technologie könnte man auch verwenden, um bei einem Marathon knapp unter der anaeroben Schwelle zu bleiben und sie nicht zu überschreiten. Die Messung der Muskelaktivität könnte man dazu verwenden, den Läufer zu benachrichtigen, wenn er sich zu sehr anstrengt und die anaerobe Schwelle überschreitet. Solche Information können viel nützlicher sein als nur den Puls oder die Schrittzahl. Und all die Informationen würden von einer Socke weitergeleitet!»
Dem Komfort auf der Spur
Gemäss Benno ist es durchaus realistisch, dass solche Socken künftig tatsächlich eingesetzt werden. Interessieren tut ihn aber ein anders Forschungsthema weit mehr: Die Verbesserung des Komforts.
Komfort ist für Benno das A und O und ihm kann man gar nie zu viel Aufmerksamkeit schenken: «Komfort bedeutet, dass es einfacher ist, mit dem Laufen zu beginnen, mehr zu trainieren und bessere Leistung zu bringen. Wenn ich könnte, würde ich meine Forschung darauf ausrichten, den komfortabelsten Schuh aller Zeiten herzustellen. Einen Schuh zu entwickeln, der messbar mehr Komfort bietet – das wäre mein Traum.»
Für die Laufschuh-Technologie scheint es also keine Ziellinie zu geben.